Die Unwetterkatastrophe vom 29./30. Mai 1931 in Zurzach

(Quelle: 'Die Botschaft' - Nr.63, 1. Juni 1931, Bürli AG Druck Kommunikation Medien)

Zurzach (31.Mai) Seit Jahrhunderten hat der alte Marktflecken am Rhein nie eine derartige Hochwasserkatastrophe erlebt, wie in der Nacht vom letzten Freitag auf Samstag. Rabenschwarz lag gegen 10 Uhr abends eine Wolkenwand über dem Achen- und Zurzacherberg, an die angelehnt, der Flecken mit seinen schmucken, alten aneinander gebauten Häusern sich befindet. Ein kleiner steiler Einschnitt, in dem kaum die Strasse nach Tegerfelden und ein unscheinbares Bächlein, das in tiefer Furche sonst friedlich zu Tale zieht, Platz finden, teilt den Achenberg vom Zurzacherberg. Beide Höhenstriche sind gegen Zurzach sehr steil abfallend, so dass das Wasser rasch abwärts fliesst. Oberhalb des Fleckens, fasst senkrecht zum Dorfeingang, wurde vor nicht gar langer Zeit der Bach in einem unterirdischen Kanal gefasst und durch das Dorf abgeleitet. Eine von allen Besuchern Zurzachs bewunderte, breite mit dickem Teerbesatz fein belegte Strasse führt hinunter vom Oberflecken in den Unterflecken zum Rathaus, wo sie sich verzweigt in die Schwertgasse nach rechts und in die Verlängerung der Hauptstrasse nach links. Im Oberflecken führt dann eine grössere Abzweigung vom Sternen gegen die Turnhalle und die reformierte Kirche hinab, hinter der der Bahnhof auf aufgehäufter Kieserde steht. Jenseits des äussersten Geleises führt ein steiler, kurzer Weg hinab zum Rhein. Damit sind auch die Hauptwege gezeichnet, die die Hochwasserkatastrophe zutiefst erlebten.

Gegen ½11 Uhr abends brach Freitags ein fürchterliches Hagelwetter über die ganze Gegend von Zurzach herein; die Hagelkörner waren gross wie Taubeneier. Ueber eine Viertelstunde dauerte der Hagelschlag, der alle Kulturen zerhackte und zerstampfte, mit Ausnahme einiger weniger Landstriche, die mitten im Unwettergebiet liegen und vom Hagel verschont blieben. Gärten, Wiesen und Aecker, die Arbeit und die Freude der Bewohner, waren mit einem Male vernichtet.
Nun kam aber das viel Furchtbarere. Es setzte ein wolkenbruchartiger Regen ein, der bis 2 Uhr dauerte, dann etwas aussetzte, um dann noch fürchterlicher neu einzusetzen. Die Luft rauchte wie wenn es irgendwo brennen würde und das Wasser begann in Strömen durch die ganze Ortschaft zu fluten. Von halb 12 bis 4 Uhr morgens war es, wie wenn der Rhein durch Zurzach fliessen würde. Das Wasser sammelte sich von den beiden Bergen herabstürzend in der Tegerfelderstrasse Oberhalb des Fleckens, zwängte sich wie ein Sturzbach durch die am Dorfeingang etwas eng beieinander stehenden Häuser, Keller und Erdgeschosse füllend, so dass vielerorts die Möbel in den Häusern umherschwammen. Wer sich hinauswagte, musste fürchten, vom Strom mitgerissen zu werden.
Das Wasser des Kanals unter der Erde löste infolge des ungeheuren Druckes mitten auf der Strasse einen Deckel los und so sprang der Inhalt des Kanals, bis das Geröll in versteckte, einem Springquell gleich aus der Tiefe.
Der Dorfbrunnen beim Hotel Sternen, sonst 1 Meter hoch, verschwand unter der grausen Wasserflut, die mit unbändiger Plötzlichkeit und Macht gegen die Turnhalle einerseits und durch die Hauptstrasse andererseits stürzte. An den Hausecken prallte das Wasser an und schoss blitzschnell in hohem Bogen zur Seite, alles mit sich reissend. Holzhaufen, Latten und riesige Wurzelstöcke, Reiswellen, Tannen und Baumstämme schwammen in riesiger Eile die Strassen und Hänge hinunter. Zementröhren und riesige Steine rollten dröhnend durch die Strassen.
Der wohl 10 cm dicke Teerbelag der Strasse im Oberflecken löste sich auf und die Wassermassen beförderten ihn weiter. So häufte sich zum Berggeröll der Strassenschutt mitten auf der Hauptstrasse, so dass das Wasser auch seitwärts hinausgetrieben wurde in die engen Seitengassen. Das leichtere Geröll und der Schlamm, gebildet aus dem Lehm der Bergwiesen, die weithin durch das Wasser mitgerissen wurden, wälzten sich dem Unterflecken zu. Das gegenüber dem Rathaus stehende Postgebäude fing die Wasserflut auf und leitete sie in die Schwertgasse hinein. Dort hat das Hochwasser furchtbar gewütet.
In einer Wirtschaft mussten die Leute auf die Tische fliehen, und auch diese wurden überflutet; In einer Buchdruckerei wurde das ganze Papierlager vernichtet und die Maschinen durch das Wasser vollständig ruiniert. Aus einem Schuhladen wurden die Schuhe samt den Schachteln vom Wasser herausgeholt und auf die Strasse getragen, und das ganze Lager versank im Wasser. Der Schaden wird allein in diesem Laden auf 15'000 SFr. berechnet. In einem anderen Laden wollte der Geschäftsinhaber aufräumen. Das Wasser drang plötzlich ein. Es war ihm unmöglich, die Türe wieder zu öffnen. Auf seine Hilferufe stürtzten die Hausbewohner herbei, schlugen von aussen die Türe ein und konnten so den Mann in letzter Not retten, der schon bis zur Brust im Wasser stand. Auch das Vieh in den Ställen musste aus dem Wasser herausgeholt werden. Schwer war es, einander zu Hilfe zu kommen. Jeder hatte genug in seinem Hause zu wehren und zu arbeiten. Das Rauschen des Wassers war so stark, dass man seine eigene Stimme kaum hörte. Die Feuerwehr half zwar überall tapfer mit, wo die Not besonders gross war. Allen voran tat sich der hiesige Gemeindeammann hervor, der einem Manne , der in den Fluten dahergeschwommen kam, das Leben rettete. Schrecklich verwüstete der Wasserstrom die Villen und Gärten zwischen Schwertgasse und Bahnhof. In den Garagen standen die Autos derart unter Wasser, dass im Innern der Autos Decken und Werkzeuge umherschwommen. Die Bahnhofgeleise wurden unterspühlt, so dass das eine Geleise mehrere Meter weit in der Luft schwebt. Der Bahndamm ist in grossem Umkreis abgebrochen und ebenso der Hang gegen den Rhein hinunter. Bei der Zollbrücke brachte die Macht des Wassers eine gewaltige Stützmauer zu Fall und die Strasse Zurzach-Rekingen stürtzte beim Zollhaus in die Tiefe, nachdem etwa eine Viertelstunde vorher noch ein Lastwagen sie passiert hatte.

Grauenvoll war der Anblick Zurzachs am Samstagmorgen. Im Oberflecken wälzte sich noch den ganzen Nachmittag hindurch ein reissender Bach durch die Hauptstrasse. Auf Feldern und Gärten lag ein geler, lehmiger Schlamm und die Gegend zwischen der Sodafabrik und dem Flecken bildete ein gewaltiger See. Grosse Wiesengründe waren am Berge abgerutscht, das Bahngeleise, an verschiedenen Orten auf der Strecke zwischen Rekingen und Koblenz unterspühlt, unterbrochen; die Telefonverbindungen waren gestört. Die Bevölkerung , die ganze Nacht in Angst und verzweifelter Anstrengung, bemühte sich allerorts das Wasser aus Wohnungen und Kellerräumen auszupumpen.

Am Morgen nahm das gesamte kantonale Baudepartement samt einer Vertretung der aargauischen Regierung den Augenschein ab. Am Nachmittag langten Motorpumpen an. Man bemerkte auch die Motorpumpe der Feuerwehr der Stadt Aarau. Erst jetzt sah man, wie viel Wasser in die Häuser eingedrungen war. An einzelnen Häusern arbeitete die Motorpumpe mehrere Stunden, um die tief gelegenen Kellerräume einigermassen dem nassen Element zu entreissen. Die beiden Kirchen Zurzach haben gar keinen Schaden genommen. Auch die kunstvoll erneuerte tiefgelegene Gruft der heiligen Verena ist, trotzdem an ihr vorbei das Wasser in den katholischen Friedhof floss, unberührt geblieben. Der Sonntag musste, nachdem der tapferen Feuerwehr eine kurze Ruhe gegönnt wurde, wieder ganz zu Räumungsarbeiten herangezogen werden. Die Pumpwerke arbeiteten noch den ganzen Tag hindurch, während man sich bemühte , aus den Erdgeschossen den oft 20-30cm tiefen Schlamm auszuräumen, der sich allüberall festgesetzt hatte.
Am Sonntag erschien die ganze kantonale Regierung um mit den Gemeindebehörden über die Hilfsmassnahmen sich zu besprechen. Ein grosser Menschenstrom Neugieriger suchte das Marktstädtchen auf. Der Mittagszug brachte allein 400-500 Leute nach Rekingen, von wo die meisten Besucher zu Fuss nach Zurzach gehen mussten, da ein ganz unzulänglicher Autobusverkehr die Zugsverbindung zwischen Rekingen und Koblenz ersetzen muss.


Folgende 4 Bilder stammen aus dem Buch 'Endingen, Bilder aus vergangenen Zeiten'
Dr. Karl Weibel, Endingen,1991


Blick in die Schwertgasse


Beim Zollhaus


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Eingestürzter Schopf


Juni 2007, Kai Kobler