Die Unwetterkatastrophe vom 29./30. Mai 1931 in Tegerfelden

(Quelle: 'Die Botschaft' - Nr.63, 1. Juni 1931, Bürli AG Druck Kommunikation Medien)

Tegerfelden. Schrecklich hat hier das furchtbare Unwetter gehaust und enormen Schaden angerichtet. Bei der Kreuzstrasse von der Postautohaltestelle bis zur Surbbrücke ist die Strasse zum Teil total verschwunden. Die Stützmauer mit Eisengeländer ist weggerissen. Grosse Einsturzgefahr drohte dem Restaurant zum "Warteck " , frei bis auf den Grund steht der Hausgiebel, Strasse und Hausplatz sind weggerissen. Die Gartenanlagen sind weggefegt, Holzlager, Kellerwaren, landwirtschaftliche Geräte und Wagen wurden weggeschwemmt.
Links der Surbbrücke stürzte ein Berghang nieder und drückte einen neu erbauten Schopf ein, das Haus musste von den Bewohnern verlassen werden. Ganz besonders schwer betroffen wurden die Bewohner eines kleinen Häuschens. Die Wasser durchfluteten die Wohnung und entführten fast alle Gegenstände. Unter grösster Lebensgefahr konnten die Insassen und das Vieh gerettet werden. Schrecklich sieht es auch bei der Einmündung der Zurzacherstrasse oberhalb des "Löwens" aus. Mächtige Tannenstämme, weggetragen bei der nahen Sägerei, liegen kreuz und quer über fast haustiefen Löchern des Bergbaches. Da in der Nähe des "Warteck" eine Stange der Lichtleitung umgerissen wurde, hatte das ganze Dorf kein Licht, was den Schrecken der Nacht erhöhte.
Die Gemeinde Tegerfelden ist ganz besonders schwer betroffen worden.


(Quelle: 'Die Botschaft' - Nr.64, 3. Juni 1931, Bürli AG Druck Kommunikation Medien)

Nachstehende Berichterstattung über die Verheerungen in Tegerfelden ist für die Montagsnummer zu spät eingetroffen

Tegerfelden. Das Unwetter in der Nacht vom 29. auf den 30. Mai ist für unsere Gemeinde zur Katastrophe geworden. Während fünf Stunden viel der Regen sintflutartig, vermischt mit Hagelschlag. Von überall her wälzten sich die Fluten dem Dorf und der Surb zu. Diese schwoll immer höher und höher an, trat über die Ufer und überschwemmte und überschüttete einen schönen Teil der fruchtbaren Wässermatten des Tales, sodass der ganze Heuertrag total vernichtet ist.
Grässlich ist die Wirkung des Gislibaches, der im Gebiet gegen Zurzach und Rekingen sein Einzugsgebiet hat, durch das Hinterdorf fliesst und sich bei der Wartegg in die Surb ergiesst. Zum wütenden Wildbach geworden, riss er ein grosses Holzlager der Zimmerei Meier & Baumgartner mit. Bautannen mit zwei und mehr Festmeter wurden wie Rebstöcke fortgetragen, kreuz und quer übereinander geworfen und in ein am Bache stehendes Wohnhaus, dem die hintere Fassade eingedrückt wurde, eingeschwemmt. Gross ist der Schaden an diesem Haus, die Fahrhabe ist fortgeschwemmt. Der Besitzer, der das Vieh retten wollte, wurde von den Stämmen überrascht, konnte aber von der Feuerwehr noch rechtzeitig gerettet werden.
Die Strasse gegen Zurzach ist im Hinterdorf auf eine weite Strecke fortgerissen, sodass die Wasserleitung freiliegt. Von der Surbbrücke bis hinter die Wirtschaft Wartegg ist von der Strasse gar nichts mehr zu sehen. Die Strasse gegen Würenlingen ist durch Erdrutsche verschüttet. Vom ersten Haus an derselben ist der Lagerschopf wie ein Kartenspiel vom Erdschlipf zusammengedrückt worden. Das Haus musste geräumt werden, da weitere Rutschungen zu befürchten sind.
Der Verkehr war nur noch talaufwärts intakt, nach den anderen Seiten war er abgeschnitten. Bis in ein paar Tagen wird es möglich werden, die Strassen nach Würenlingen und Döttingen provisorisch fahrbar zu machen. Nach Zurzach wird es längere Zeit in Anspruch nehmen. Gleich wie bei Staatsstrassen, so sind die Flurwege vernichtet.
Der Schaden geht in die Hunderttausende, abgesehen vom Hagelschaden, der den ganzen Weinberg vernichtet hat. Trostlos ist, dass für solche Elementarschäden immer noch keine Versicherung geschaffen wird. Vor 3 Jahren ist unsere Gemeinde so schwer von der Maul- und Klauenseuche heimgesucht worden und nun stehen wir vor dieser Wasserkatastrophe. Es sind dies schwere Schläge für die Bauernsame, die dazu führen, dass die heranwachsende Jugend sich stehts mehr von der Scholle abwendet.

Tegerfelden. (Einges.) Überall hin muss die Kunde der Unwetterkatastrophe, die uns heimgesucht, gedrungen sein. Zwar brachten die Tagesblätter über unsere Gemeinde nur kurze Notizen, da wir eben anfangs von jedem Verkehr nach auswärts abgeschnitten waren. Weder Telephon noch Post funktionierte.
Tagtäglich ist die reinste Völkerwanderung von Fremden über die Stätte des Grauens. Die von Endingen zugängliche Strasse bildet ein regelrechter Autopark. Jedermann erklärt, dass man eine solche Zerstörung sich nicht vorstellen könnte. Man denke sich die Angst und Not der Betroffenen während fünf vollen Stunden in dunkler Nacht, da wegen Kurzschluss die Gemeinde ohne Licht war. Nur wenn die Blitze zuckten war es möglich einen kurzen Blick in das Verderben zu richten. Es ist nicht zu verwundern, wenn viele glaubten, dass die Geschehnisse des jüngsten Tages herangebrochen seien.
Was die Bewohner des am schwersten betroffenen Dorfteiles in dieser Nacht miterlebt haben, ist nicht zu beschreiben. Man denke nur an den 83-jährigen Greis, der bei der Rettung seiner Viehhabe im Stall von den Fluten überrascht wurde und die Stalltüre nicht mehr öffnen konnte. Zwei Stunden lang musste er auf der Krippe sitzend bis zur Brust im Wasser ausharren bis ihm Rettung gebracht werden konnte.
Gross ist der Greuel der Verwüstung in der Gemeinde, enorm ist der Schaden an den Kulturen, trostlos steht der Landwirt vor seiner vernichteten Habe und muss mit Bangen an die Zukunft schauen. Mutlos muss er wieder zur Hacke greifen und das ganze Jahr seine Arbeit tun, obwohl er weiss, dass solche ihm wenig Lohn verspricht.
Es ist erfreulich, wie allenthalben Teilnahme bekundet wird, doch mit dem allein ist es nicht getan. Den Ärmsten der Armen muss werktätige Hilfe zuteil werden, sollen sie nicht wirtschaftlich zu Grunde gehen, denn das sind Schäden, die der Einzelne nicht ertragen kann. Eine öffentliche Hilfsaktion muss eingreifen und hoffentlich wird unsere allzeit hilfsbereite Mutter Helvetia ihre mildtätige Hand recht öffnen und dabei zeigen, dass sie mütterlich für all ihre Kinder sorgt. Eine weitere diesbezügliche Einsendung legen wir dankend beiseite.


Folgende 7 Bilder stammen von der Homepage der  Gemeinde Tegerfelden


Eingestürzte Stützmauer mit Eisengeländer



Weggerissene Strassen


Wieder gezähmter Gislibach


Freiliegende Wasserleitung


Verwüstete Gärten


Mächtige angeschwemmte Tannenstämme



Juni 2007, Kai Kobler